Schülerlotsen

Vor gut drei Jahren, während einer Gesamtkonferenz, sprach unser damaliger Schulleiter, Herr Borowik, ein für ihn dringendes Anliegen an. Er sagte, dass es früher an der Adolf-Reichwein-Schule Schülerlotsen gegeben hätte und ob sich jemand vorstellen könnte, diese Sache in die Hand zu nehmen. Niemand meldete sich. Obgleich ich mit Schülern als Verkehrshelfer keinerlei Erfahrung hatte, meldete ich mich, da ich den Vorschlag gut fand. Ein guter Kollege, der früher bereits einmal ein Schülerlotsen-Team zusammengestellt hatte, sicherte mir zu, mich dabei zu unterstützen. Von ihm hatte ich auch die wichtigste Kontaktadresse: Nämlich die zur zuständigen Polizeidienststelle, genauer gesagt zu Herrn Wiesner, der unsere Schüler für den Dienst als Verkehrshelfer ausbilden sollte. Leider trat hier schon ein erstes Problem auf, da Herr Wiesner sich zurzeit im Krankenstand befand. Nach einiger Zeit meldete sich Herr Wiesner dann und signalisierte mir, dass wir mit der Ausbildung beginnen könnten, war aber skeptisch, ob es genug Schüler gäbe, die sich freiwillig dazu bereit erklären würden. Am darauf folgenden Tag ging ich in die Klassen hinein (Jahrgangsstufen 7-10), aus denen die freiwilligen Schüler zu rekrutieren ich mir vorstellen konnte und stellte das Projekt vor. Zu meiner Überraschung meldeten sich insgesamt über 50 unserer Schüler (dieser Terminus schließt selbstverständlich auch die Schüler weiblichen Geschlechts mit ein). Danach wurde rasch ein Termin mit Herrn Wiesner vereinbart, die dreitägige Ausbildung mit abschließender schriftlicher Prüfung konnte beginnen. Unsere Schüler nahmen diese Schulung sehr ernst, alle bestanden die Prüfung zum Verkehrshelfer. Abschließend wurden die Schüler von Bürgermeister, Ordnungsamt und Polizei ausdrücklich gelobt, sogar die Presse war vor Ort. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war die Tatsache, dass es an anderen hessischen Schulen zwar noch Schülerlotsen gab, aber dass es sich dabei nicht um Schüler, sondern vielmehr um deren Eltern handelte, die Dienst als Verkehrshelfer leisteten.

Nach Aussage der Polizei sei also die Adolf-Reichwein-Schule die einzige Schule Hessens, in der Schüler für ihre Mitschüler, vor allem jüngere, Verantwortung in verkehrstechnischer Hinsicht zu übernehmen bereit waren. Nicht die hochgelobten Eliteschulen, sondern vielmehr eine Haupt- und Realschule mit Förderstufe besaß nun eigene Verkehrshelfer aus Reihen der Schüler. Noch unbedingt zu erwähnen ist die Tatsache, dass die Schüler sich dabei weitgehend selbstständig organisieren, also ihre Dienstpläne untereinander koordinieren.

Auch die Zukunft der Schülerlotsen dürfte eine durchaus positive sein, da jüngere Schüler die zahlenmäßigen Verluste, die durch die Schulabgänger zwangsläufig entstehen, bisher stets aufgefangen haben, also engagierter Nachwuchs an diese Stelle trat. Immer zu Beginn des neuen Schuljahres bildet Herr Wiesner die neu hinzukommenden Schülerlotsen aus, damit diese das Team der Verkehrshelfer dann komplettieren können. Unser Anliegen ist ja schließlich, dass unsere Schüler sicher über die dicht befahrene Alzenauer Straße hinübergelangen.

Darüber hinaus lernen unsere Schüler damit auch verantwortungsbewusstes Handeln für sich und andere, eine Eigenschaft, die in unserer modernen Welt immer mehr abhanden zu gehen scheint. Gerade in dieser Hinsicht will das Projekt „Schüler unterstützen ihre Mitschüler als Verkehrshelfer“ ein Signal für eine weniger egoistische Gesellschaft setzen. Als Vorbilder dienen hierbei Kinder und Jugendliche, die auch den Erwachsenen vorleben wollen, wie sie sich das Zusammenleben der Menschen in Zukunft wünschen: Anderen helfen und verantwortungsbewusst handeln.

Uwe Boll